Menü schließen

HACCP kann doch jeder – oder?

vom 7. Juli 2025

Die Komfortzone „HACCP“

Hand aufs Herz: Wer in der Lebensmittelbranche arbeitet, kennt den Begriff HACCP wie das eigene Pausenbrot. „Hazard Analysis and Critical Control Points“ klingt kompliziert, ist aber eigentlich eine simple Formel für sichere Lebensmittel. So jedenfalls der Glaube in vielen Betrieben. Und doch scheitern jährlich unzählige Unternehmen daran, ein funktionierendes HACCP-System zu etablieren oder weiterzuentwickeln.
Warum? Weil HACCP eben doch nicht „jeder kann“ auch wenn es viele glauben (und sich gegenseitig gern vormachen).

Der folgende Artikel räumt auf mit alten Ausreden, beleuchtet die häufigsten Schwachstellen aus der Praxis und zeigt, warum HACCP heute mehr denn je ein Chefthema ist und kein langweiliges Pflichtprogramm.

„Wir haben da so ein Handbuch…“ Falsche Dokumentation als Standardproblem

Wer hat es nicht schon erlebt? Die Audits stehen an und plötzlich werden dicke Ordner aus dem Schrank geholt – manche verstaubt, andere (vermeintlich) aktuell. Im ersten Moment sieht alles professionell aus: Fließdiagramme, Risikoanalysen, Maßnahmenpläne. Doch auf den zweiten Blick beginnt das große Rätselraten: Wer hat das eigentlich wann zuletzt geprüft? Stimmen die Abläufe noch? Werden die Aufzeichnungen wirklich täglich geführt oder wurde kurz vor dem Audit nachgetragen, was das Zeug hält?

Beispiel aus dem Alltag:
In einer Großküche wird ein HACCP-Plan stolz präsentiert. Auf Nachfrage stellt sich heraus: Die letzten Temperaturkontrollen der Kühlzellen wurden „nachgetragen“, weil der Verantwortliche krank war und niemand sonst wusste, wie die Dokumentation richtig funktioniert. Ergebnis: Ein formales System ohne Substanz, das im Ernstfall niemandem hilft.

Fazit:
Falsche Dokumentation ist kein Kavaliersdelikt. Sie gefährdet nicht nur die Lebensmittelsicherheit, sondern auch die Glaubwürdigkeit des gesamten Unternehmens. Wer hier schludert, riskiert im Zweifel seine Existenz.

Risikoanalyse, mehr als nur ein Haken auf der Checkliste

Viele HACCP-Systeme scheitern bereits an der Basis: der Risikoanalyse. Hier wird nach dem Motto „Das haben wir schon immer so gemacht“ gearbeitet. Gefahren werden pauschal bewertet, echte Schwachstellen aber selten erkannt.

Alltagsszene:
In einer Molkerei werden die Risiken für Kreuzkontamination seit Jahren als „niedrig“ eingestuft – obwohl es regelmäßig Produktwechsel und Engpässe beim Personal gibt. Niemand hinterfragt, ob Reinigungsintervalle und Ablaufpläne noch zeitgemäß sind. Erst ein externer Auditor stellt kritische Fragen und plötzlich kommt Bewegung ins Spiel.

Appell:
Eine solide Risikoanalyse verlangt Mut zur Selbstkritik und die Bereitschaft, den eigenen Betrieb immer wieder neu zu betrachten. Wer Risiken nur pro forma abhakt, hat HACCP nicht verstanden.

Mitarbeitermotivation, das unterschätzte Risiko

„Schon wieder eine Schulung? Das bringt doch eh nichts!“
Ein Satz, den viele HACCP-Beauftragte nur zu gut kennen. Denn während Management und QM-Abteilung große Pläne schmieden, bleibt die Umsetzung oft an den Facharbeitern hängen. Doch ohne Verständnis und Akzeptanz im Team läuft kein System dauerhaft.

Anekdote:
In einer Gemeinschaftsverpflegung werden regelmäßig neue Reinigungspläne verteilt – doch kaum jemand liest sie wirklich durch. Die Motivation, jeden Schritt zu dokumentieren, sinkt mit jedem Tag. Als ein gravierender Reinigungsmangel auffällt, wird schnell klar: Es mangelt nicht am Wissen, sondern an der inneren Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Empfehlung:
HACCP lebt von Vorbildern. Führungskräfte müssen nicht nur kontrollieren, sondern vorleben und vor allem zuhören, wo der Schuh drückt. Erfolgreiche Betriebe investieren Zeit in Teamgespräche, suchen den Dialog und bauen Schulungen praxisnah auf.

Auditprobleme, wenn die Realität auffliegt

Spätestens beim externen Audit zeigt sich, wie „echt“ das HACCP-System ist. Prüfer stellen Fragen, werfen einen Blick hinter die Kulissen und entdecken oft Unstimmigkeiten, die intern lange ignoriert wurden.

Alltagssituation:
Ein Lebensmittelbetrieb wird von einem unangekündigten Audit überrascht. Die Mitarbeiter sind nervös, der HACCP-Beauftragte schwitzt. Der Auditor fragt nach Maßnahmen bei Produktionsunterbrechungen, doch niemand kann spontan erklären, wie gehandelt wird. Die Folge: Abwertung im Zertifikat, Imageschaden und interne Aufräumarbeiten.

Tipp:
Audits sollten nicht als Bedrohung gesehen werden, sondern als Chance zur Weiterentwicklung. Wer sein System ehrlich lebt, hat vor dem Audit keine Angst sondern freut sich über neue Impulse.

Führung und Veränderungsbereitschaft, das größte Manko

Die Erfahrung zeigt: HACCP steht und fällt mit der Führung. Wo Chefs das System als „notwendiges Übel“ betrachten, wird es nie mehr als Papier bleiben. Veränderung erfordert Mut, vor allem von oben.

Anekdote:
In einem Betrieb wird seit Jahren das gleiche HACCP-Handbuch verwendet. Innovationen oder neue Gefahren (z. B. durch geänderte Lieferketten) werden ignoriert. Erst als es zu einem schweren Zwischenfall kommt, wird klar, dass Stillstand im Bereich Lebensmittelsicherheit fatal ist.

Kernbotschaft:
Führung heißt, den Wandel zu treiben, nicht ihn auszusitzen. Wer bereit ist, Fehler einzugestehen und Prozesse offen zu hinterfragen, wird belohnt: mit motivierten Mitarbeitern, sicheren Produkten und langfristigem Unternehmenserfolg.

HACCP ist kein Selbstläufer und schon gar keine Ein-Mann-Show

Der größte Fehler ist zu glauben, HACCP „könne doch jeder“ oder lasse sich einfach delegieren. Wirklich erfolgreiche Unternehmen verstehen HACCP als gemeinsames Projekt, getragen von allen Ebenen.
Sie investieren in verständliche Dokumentation, echte Risikoanalysen, leben eine offene Führungskultur und motivieren ihr Team, Verantwortung zu übernehmen.

Wer weiterhin glaubt, mit alten Ordnern und „Schema F“ durchzukommen, wird früher oder später aufwachen, spätestens dann, wenn der nächste Rückruf, ein schwerer Fehler, eine behördliche Beanstandung oder ein nicht bestandenes Audit die Komfortzone verlässt.

HACCP ist keine lästige Pflicht, sondern die beste Versicherung für Qualität, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit – und genau das sollten Führungskräfte und Mitarbeitende heute mehr denn je gemeinsam begreifen.

HACCP – Das Fundament aller Lebensmittelstandards

Was viele unterschätzen: HACCP ist nicht einfach nur ein weiteres Kontrollsystem, sondern das tragende Fundament sämtlicher moderner Lebensmittelstandards, vom IFS und BRCGS über ISO 22000 bis hin zu branchenspezifischen Anforderungen für Gemeinschaftsverpflegung oder Handel.
Ganz gleich, ob es um Zertifizierungen, gesetzliche Vorgaben oder Kundenanforderungen geht: Ohne ein funktionierendes, aktiv gelebtes HACCP-System gibt es keine stabile Basis für Lebensmittelsicherheit. Wer hier Kompromisse macht, riskiert nicht nur das Zertifikat, sondern auch das Vertrauen von Kunden, Partnern und Behörden.

Jede externe Anforderung, jede neue Norm, jedes Audit baut auf der Erwartung auf, dass die Grundprinzipien von HACCP im Betrieb umgesetzt und verstanden werden. Wer beim Fundament spart oder improvisiert, baut auf Sand und das kann sich kein Lebensmittelbetrieb leisten.

„Wer die Bedeutung von HACCP unterschätzt, schwächt das Fundament seines gesamten Qualitätsmanagements. Erst ein stabiles, gelebtes HACCP-System macht Zertifizierungen, Audits und den Nachweis von Lebensmittelsicherheit überhaupt möglich.“