IFS Food Version 8 – Schwerpunkte, Pflichten und Bedeutung

Lebensmittelsicherheit und Produktqualität sind in der globalisierten Lebensmittelbranche keine abstrakten Ziele, sondern harte Anforderungen. Der IFS Food Standard – in seiner mittlerweile achten Version – bildet das Rückgrat für zertifizierte Betriebe und den zentralen Maßstab für Kunden, Behörden und Verbraucher. Mit dem IFS Food V8 wurden die Erwartungen noch einmal klar verschärft. Doch was müssen Unternehmen konkret leisten? Welche Schwerpunkte und Stolpersteine ergeben sich? Und wie fügen sich gesetzliche Vorschriften und das notwendige Fachwissen in das Gesamtsystem ein?
1. Was fordert der IFS Food Version 8 konkret?
Der IFS Food V8 setzt auf ein stringentes, risikobasiertes Managementsystem, das weit über die reine Erfüllung von Mindeststandards hinausgeht. Unternehmen stehen damit vor der Herausforderung, eine lebendige, gelebte Sicherheits- und Qualitätskultur zu etablieren.
Kernanforderungen sind:
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Risikoanalyse und Risikomanagement: Die Gefahren- und Risikoanalyse ist der Dreh- und Angelpunkt des Systems. Sie muss alle potenziellen Risiken – von biologischen, chemischen und physikalischen Gefahren über allergene und mikrobiologische Risiken bis hin zu betriebsspezifischen Schwachstellen – umfassen und wirksam steuern.
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Food Safety Culture: Unternehmen sind verpflichtet, eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der Lebensmittelsicherheit als zentraler Wert betrachtet und von allen Mitarbeitenden gelebt wird. Dazu gehören Führung durch Vorbild, Schulungen, Feedbackkultur, aber auch das konsequente Vorleben von Standards.
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Verantwortlichkeiten & Management Commitment: Die Geschäftsleitung steht in der Pflicht, sich aktiv einzubringen und Ressourcen bereitzustellen. Die Verantwortung für das Managementsystem und dessen kontinuierliche Weiterentwicklung kann nicht delegiert werden.
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Produktintegrität und Authentizität: Neben klassischer Produktsicherheit stehen nun auch Produktschutz (Food Defense) und der Schutz vor Lebensmittelbetrug (Food Fraud) im Mittelpunkt. Unternehmen müssen systematisch Risiken durch Betrug, Manipulation und Missbrauch analysieren und entsprechende Schutzmaßnahmen umsetzen.
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Dokumentation, Nachvollziehbarkeit und Rückverfolgbarkeit: Eine umfassende, lückenlose Dokumentation ist Pflicht – von den Rezepturen über Prozessbeschreibungen bis hin zu Reklamations- und Rückverfolgungssystemen. Unternehmen müssen jederzeit transparent und schnell reagieren können.
2. Die neuen Schwerpunkte im Überblick
Mit Version 8 rückt der Standard verschiedene Themenbereiche besonders in den Fokus, die für den praktischen Alltag große Auswirkungen haben:
a) Kulturwandel durch Food Safety Culture
Im Zentrum steht die Entwicklung einer aktiven „Food Safety Culture“. Das bedeutet, Lebensmittelsicherheit ist nicht nur ein Thema für das Qualitätsmanagement, sondern Aufgabe und Haltung aller Mitarbeitenden – von der Produktionslinie bis zur Geschäftsleitung. Dies erfordert:
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Fortlaufende, praxisnahe Schulungen und Unterweisungen
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Beteiligung der Führungskräfte an Sicherheitsinitiativen
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Kommunikationswege, die Feedback und Verbesserungsvorschläge ermöglichen
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Eine Fehler- und Meldekultur, die nicht auf Schuldzuweisung, sondern auf Lernen und Verbesserung abzielt
Der IFS fordert zudem messbare Indikatoren zur Bewertung der Sicherheitskultur (z. B. Audit-Feedback, Umfragen, KPIs).
b) Risikoorientierter Ansatz in allen Prozessen
Risikoanalysen sind nicht nur beim HACCP, sondern entlang der gesamten Wertschöpfungskette Pflicht – vom Rohwareneingang über Produktionsprozesse bis zu Lagerung, Transport und Auslieferung. Der risikobasierte Ansatz betrifft auch die Auswahl und Überwachung von Lieferanten sowie das Krisen- und Notfallmanagement.
c) Stärkere Einbindung externer Anforderungen
Der Standard macht unmissverständlich klar: Die Einhaltung aller einschlägigen Gesetze, Verordnungen und branchenspezifischen Vorgaben ist nicht verhandelbar. Die Unternehmen müssen ein systematisches Rechtskataster führen und relevante Änderungen fortlaufend in ihr Managementsystem integrieren.
d) Prozess- und Produktüberwachung
IFS Food V8 verlangt detaillierte Kontrollen: Regelmäßige Prozessüberprüfungen, dokumentierte Eigenkontrollen, gezielte Stichproben, Umwelt- und Hygienekontrollen sind fester Bestandteil des Systems. Auch moderne Technologien (z. B. digitale Überwachung, Datenanalyse) gewinnen an Bedeutung.
e) Stärkung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP)
Der Standard fordert, dass Unternehmen Schwachstellen und Verbesserungspotenziale nicht nur erkennen, sondern konkrete Maßnahmen einleiten und deren Wirksamkeit nachhalten. Interne Audits, Management Reviews und strukturierte Korrekturmaßnahmen bilden das Rückgrat eines funktionierenden KVP.
3. Gesetzliche Anforderungen und deren Bedeutung
IFS Food ist keine Insellösung, sondern baut auf den gesetzlichen Rahmenbedingungen auf. Die wichtigsten Verordnungen sind:
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EU-Basisverordnung (EG) Nr. 178/2002: Legt Grundprinzipien für Lebensmittelsicherheit, Rückverfolgbarkeit und Verantwortlichkeiten fest.
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Hygieneverordnung (EG) Nr. 852/2004 und 853/2004: Regelt allgemeine und spezifische Hygieneanforderungen an Lebensmittelunternehmen.
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Produkthaftungsgesetz und nationale Vorschriften: Machen Unternehmen für die Sicherheit ihrer Produkte verantwortlich.
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Spezialverordnungen (z. B. Allergenkennzeichnung, Zusatzstoffe, Rückverfolgbarkeit): Müssen systematisch überwacht und integriert werden.
Ein Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben kann nicht durch die Einhaltung des IFS-Standards kompensiert werden. Vielmehr ist der IFS darauf ausgelegt, Unternehmen über den gesetzlichen Mindeststandard hinaus in die Pflicht zu nehmen.
4. Die Bedeutung von Fachwissen und Wissenstransfer
Der IFS Food V8 stellt das Wissen der Mitarbeitenden ins Zentrum:
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Kompetenzmanagement: Alle Mitarbeitenden – insbesondere Schlüsselpersonal in Produktion, Qualitätssicherung und Management – müssen regelmäßig geschult und nachweislich qualifiziert werden. Dabei reicht „Pflichtschulung“ allein nicht aus; Wissen muss im Alltag angewendet und aufgefrischt werden.
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Schulungspläne und Wirksamkeitskontrolle: Unternehmen müssen Schulungsbedarfe systematisch erfassen, Maßnahmen dokumentieren und die Wirkung der Trainings überprüfen.
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Integration externer Expertise: Gerade bei rechtlichen, mikrobiologischen oder technologischen Spezialthemen ist der Einbezug von Fachberatern oder externen Sachverständigen empfehlenswert.
Fehlendes oder veraltetes Wissen ist eines der größten Risiken für Non-Conformities und Produktsicherheitsmängel – darauf weist der IFS explizit hin.
5. Typische Auditfragen im IFS Food V8 – Worauf Auditoren besonders achten
Ein zentrales Element des IFS Food-Zertifizierungsprozesses ist das externe Audit. Hierbei prüfen Auditoren nicht nur die Dokumentation, sondern vor allem die gelebte Praxis im Unternehmen. Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass die Fragen sehr praxisnah und situationsbezogen gestellt werden. Folgende Themen und Beispielfragen sind besonders relevant:
1. Food Safety Culture (Lebensmittelsicherheitskultur)
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Wie stellen Sie sicher, dass alle Mitarbeitenden die Bedeutung von Lebensmittelsicherheit verstehen?
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Können Sie Beispiele nennen, wie Führungskräfte das Thema Lebensmittelsicherheit vorleben?
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Gibt es ein System für die Meldung und Auswertung von Beinahe-Vorfällen oder Verbesserungsvorschlägen?
2. Risikomanagement und HACCP
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Wie wird die Gefahrenanalyse durchgeführt und regelmäßig aktualisiert?
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Welche Maßnahmen wurden auf Basis der Risikoanalyse zuletzt umgesetzt?
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Wie wird die Wirksamkeit der Lenkungsmaßnahmen überprüft?
3. Rückverfolgbarkeit und Krisenmanagement
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Wie schnell können Sie eine Rückverfolgbarkeitsübung durchführen?
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Welche Schritte sind im Notfallplan bei einem Produktrückruf vorgesehen?
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Wann wurde zuletzt eine Notfallübung durchgeführt und welche Erkenntnisse wurden daraus gezogen?
4. Schulungen und Wissen
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Wie werden neue Mitarbeitende in die Prozesse eingewiesen?
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Wie dokumentieren und überprüfen Sie die Wirksamkeit von Schulungen?
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Wie wird sichergestellt, dass auch Aushilfen oder Zeitarbeitende ausreichend qualifiziert sind?
5. Einhaltung gesetzlicher Vorgaben
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Wie verfolgen Sie Änderungen in gesetzlichen und behördlichen Anforderungen?
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Gibt es eine Verantwortlichkeit für das Rechtskataster und wie wird dieses gepflegt?
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Wie werden neue oder geänderte Gesetze in das bestehende Managementsystem integriert?
6. Produktschutz und Food Fraud
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Welche Maßnahmen zum Schutz vor Lebensmittelbetrug sind etabliert?
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Wie werden Lieferanten auf Authentizitätsrisiken überprüft?
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Welche Vorkehrungen zum Schutz vor unbefugtem Zutritt gibt es im Betrieb?
7. Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP)
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Können Sie Beispiele für Verbesserungen nennen, die in den letzten 12 Monaten umgesetzt wurden?
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Wie erfolgt die Nachverfolgung von Korrekturmaßnahmen aus Audits oder Reklamationen?
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Wer ist für die Umsetzung und Kontrolle von Verbesserungsmaßnahmen verantwortlich?
Praxistipp:
Unternehmen sollten regelmäßig interne Audits mit typischen Fragestellungen durchführen und auch Mitarbeitende gezielt auf spontane Befragungen vorbereiten. Dabei sollte nicht nur das Wissen, sondern auch das Bewusstsein und das praktische Verhalten im Fokus stehen.
6. Risiken und Folgen eines „KO“ oder „Major“ im IFS Food Audit
Im Rahmen eines IFS Food Audits werden Abweichungen in verschiedene Kategorien eingeteilt. Besonders gravierend sind die „KO“- (Knock Out) und „Major“-Nonkonformitäten.
Was ist ein KO?
Ein KO ist eine kritische Abweichung von einem der sieben KO-Kriterien des IFS (z. B. Gefahrenanalyse/HACCP, Rückverfolgbarkeit, Managementverantwortung, Produktschutz, Fremdkörpermanagement etc.). Wird ein KO festgestellt, führt dies in jedem Fall zum Nichtbestehen des Audits – ganz unabhängig von der sonstigen Bewertung. Das Unternehmen erhält keine Zertifizierung und muss umfassende Korrekturmaßnahmen nachweisen, bevor eine erneute Auditierung stattfinden kann.
Was ist ein Major?
Eine „Major“-Abweichung bezeichnet eine erhebliche Abweichung von einem IFS-Anforderungspunkt mit signifikantem Einfluss auf Lebensmittelsicherheit, Rechtstreue oder Produktintegrität. Majors müssen innerhalb von 28 Tagen mit Korrekturmaßnahmen beantwortet und nachgewiesen werden. Die Zertifizierung kann in vielen Fällen aufrechterhalten werden, allerdings mit deutlichem Hinweis im Bericht – das wirkt sich negativ auf die Bewertung und die Reputation aus.
Risiken und Folgen:
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Wirtschaftliche Risiken: KO oder Major können zu Auftragsverlust, temporärer Marktsperre und Imageschäden führen, besonders bei Handelsunternehmen.
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Rechtliche Risiken: Nicht-Erfüllung der KO-Kriterien signalisiert Behörden, dass grundlegende rechtliche Mindestanforderungen nicht erfüllt sind – bis hin zur Stilllegung von Betrieben.
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Vertrauensverlust: Kunden und Handelspartner reagieren auf KO/Major sehr sensibel, oft werden Folgeaufträge, Listungen oder Lieferbeziehungen ausgesetzt.
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Kosten durch Nachauditierungen: Erneute Audits und umfassende Korrekturmaßnahmen verursachen Kosten und binden Ressourcen.
Prävention:
Regelmäßige interne Audits, Praxis-Checks der KO-Kriterien und systematische Nachverfolgung aller Abweichungen sind der beste Schutz vor einem KO oder Major.
7. Empfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung
Unternehmen, die sich im Spannungsfeld von IFS Food, gesetzlichen Anforderungen und Markterwartungen bewegen, sollten folgende Leitlinien beachten:
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Schulungen und Kommunikation: Setze auf regelmäßig wiederholte, praxisorientierte Schulungen und fördere den internen Austausch.
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Kultur und Vorbildfunktion: Die Führung muss mit gutem Beispiel vorangehen, offene Kommunikation fördern und ein konstruktives Fehlerklima schaffen.
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Risiko- und Prozessmanagement: Gefahrenanalysen und Verbesserungsprozesse sind keine Pflichtübung, sondern strategisches Werkzeug zur Absicherung und Weiterentwicklung des Unternehmens.
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Rechtsmonitoring: Halte gesetzliche und normative Anforderungen systematisch aktuell – etwa durch Rechtskataster, Newsletter, Branchenverbände oder externe Beratung.
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Nachhaltige Dokumentation: Dokumentiere nur das, was gelebt wird – und setze auf digitale Tools zur Verbesserung der Transparenz und Nachvollziehbarkeit.
Der IFS Food Version 8 ist mehr als ein Zertifizierungsstandard: Er ist Kompass und Handlungsrahmen für eine zukunftssichere, verantwortungsvolle Lebensmittelproduktion. Unternehmen sind gut beraten, nicht nur auf Audittauglichkeit zu setzen, sondern die Prinzipien des Standards – insbesondere Kultur, Wissen und Risikoorientierung – als echten Mehrwert für die eigene Organisation zu begreifen. Die Integration von gesetzlichen Vorgaben, IFS-Anforderungen und kontinuierlicher Kompetenzentwicklung bildet dabei das Fundament für nachhaltigen Unternehmenserfolg und Vertrauen entlang der gesamten Lebensmittelkette.
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