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Keimfrei gelagert? Die unsichtbare Gefahr in Kühl- und Trockenlagern

vom 29. Juli 2025

Ein unsichtbares Risiko mitten im Betrieb

Während in der Lebensmittelproduktion höchste Hygienevorgaben herrschen, bleiben Lagerbereiche oft im Schatten der Aufmerksamkeit. Dabei sind sie essenzieller Teil der Lebensmittelkette – und ein potenzieller Hotspot für mikrobiologische Risiken. Kühlhäuser, Froster, Trockenlager oder Anbruchkühler werden häufig nicht mit der gleichen Konsequenz betrachtet wie Produktionszonen. Das ist gefährlich – nicht nur für die Lebensmittelsicherheit, sondern auch für Zertifizierungen und Rechtskonformität.

Lagerhygiene: Das unterschätzte Glied in der Hygienekette

Lagerbereiche sind Schnittstellen. Sie verbinden Anlieferung, Produktion, Zwischenlagerung, Versand. Und genau darin liegt die Herausforderung: Viele verschiedene Produkte, Menschen, Transportmittel und Temperaturen treffen auf begrenzten Raum zusammen. Dabei werden zentrale Hygieneanforderungen häufig vernachlässigt:

  • Oberflächen und Böden sind schwer zu reinigen oder beschädigt

  • Produkte lagern zu nah an Wänden oder direkt am Boden

  • Rückstände, Pfützen oder Frostbildung werden nicht rechtzeitig entfernt

  • Reinigungsintervalle sind zu lang oder gar nicht dokumentiert

In Audits zeigt sich regelmäßig: Die betriebliche Lagerhygiene ist oft das schwächste Glied im Hygienemanagement.

Mikrobiologische Risiken im Lagerbereich

Anders als vielfach angenommen, sind auch scheinbar „tote“ Lagerflächen wie Trockenräume oder Tiefkühllager keine hygienischen Sperrzonen für Keime. Folgende Risiken treten regelmäßig auf:

Kühl- und Tiefkühllager

  • Kondenswasserbildung durch Temperaturwechsel – idealer Nährboden für Schimmelpilze und Pseudomonaden

  • Verdampfer und Lüftungstechnik: Biofilme und Keimverteilung durch ungepflegte Komponenten

  • Frostschutzmatten oder Rinnen: Feuchtzonen mit organischem Material, die kaum beachtet werden

  • Türdichtungen: Häufige Problemstelle mit hoher Keimbelastung

Trockenlager und Vorratsräume

  • Staub, Verpackungsreste, Papiersäcke: ideale Rückzugsräume für Schädlinge und Sporen

  • Temperaturzonen zwischen 15–25 °C: günstige Bedingungen für Schimmelwachstum

  • Schädlingsbefall (Motten, Käfer, Mäuse): oft durch schlecht gesicherte Zugänge oder Ritzen

Anbruchkühler & interne Zwischenlager

  • Fehlende Trennung von offenen/geschlossenen Lebensmitteln

  • Verwechselungsgefahr bei loser Lagerung (z. B. Fleisch vs. vegetarische Ware)

  • Veraltete oder beschädigte Lagerbehältnisse

Selbst bei tiefen Temperaturen überleben viele Keime. Listerien z. B. wachsen sogar bei Kühlschranktemperaturen – in leicht biofilmbildenden Milieus wie an Kondensatwannen oder Dichtungen.

Bauliche und technische Anforderungen

Oberflächen & Materialien

  • Leicht zu reinigende, glatte, nicht poröse Materialien sind Pflicht – besonders für Böden, Wände, Regale.

  • Ecken müssen abgerundet und gut zugänglich sein, um Schmutzansammlungen zu vermeiden.

  • Regalsysteme sollten mobil oder wandfrei montiert sein (mind. 10 cm Abstand zur Wand, 20 cm zum Boden).

Temperaturüberwachung & Luftführung

  • Digitale Temperaturmessung mit Alarmfunktion – auch für Kühlzellen.

  • Luftführungssysteme müssen regelmäßig inspiziert und gereinigt werden – sonst verteilen sie Keime.

  • Vermeidung von Taupunkten durch korrekt eingestellte Temperatur-/Feuchteverhältnisse.

Bodenentwässerung

  • Gefälle im Bodenverlauf (mind. 2 %) und leicht zu reinigende Rinnen oder Abläufe.

  • Rückstau- und Geruchsverschlüsse, um Kreuzkontaminationen zu vermeiden.

  • Keine offenen Abflüsse in der Nähe von Lagerware!

Organisatorische Maßnahmen und Praxisbeispiele

Typische Auditbefunde aus der Praxis:

  • Fall 1: Schimmel in der Anbruchkühlzelle
    In einem Betrieb der Gemeinschaftsverpflegung wurden aufgeschnittene Fleischprodukte gemeinsam mit offenen Salatschalen auf engstem Raum gelagert – mit sichtbarem Schimmel an den Wandverkleidungen. Ursache: beschädigte Silikonfugen und mangelhafte tägliche Sichtkontrolle.

  • Fall 2: Verdampfer als Keimschleuder
    In einem IFS-zertifizierten Tiefkühlbetrieb war der Verdampfer mit einer dicken Eisschicht überzogen. Die Eisschmelze tropfte auf Kartonagen – mit erhöhten Enterobacteriaceae-Werten bei der Abklatschprobe. Folge: KO-Abwertung im Audit.

  • Fall 3: Trockenlager mit Mäusekot
    In einem Bäckereibetrieb wurde das Lager selten betreten. Erst eine unangekündigte Kontrolle deckte massiven Schädlingsbefall auf. Verpackte Backzutaten lagerten offen am Boden, Abfälle wurden nicht täglich entsorgt.

Lösungsansätze:

  • Zonenkonzepte einführen: Lagerbereiche separat klassifizieren und eigene Hygienepläne festlegen.

  • Tägliche Sichtkontrollen mit Checklisten durchführen – durch Produktionsmitarbeitende oder Hausdienste.

  • Reinigung schwer zugänglicher Stellen regelmäßig dokumentieren (z. B. unter Regalen, in Fugen, Deckenlüfter).

  • Mikrobiologische Eigenkontrollen mit standardisierten Abklatschtests (z. B. für TMC, Listerien, Schimmel).

  • Digitalisierte Temperaturaufzeichnung mit Eskalationsstufen (inkl. Rückverfolgung im Störfall).

Rechtliche Anforderungen & Konsequenzen

Lagerbereiche unterliegen denselben rechtlichen Anforderungen wie Produktionszonen:

  • VO (EG) Nr. 852/2004 – Artikel 4 & Anhang II, Kapitel IX:
    → Sauberkeit, Temperaturführung, Warentrennung, Vermeidung von Kontaminationen.

  • Artikel 5 (HACCP-Pflicht):
    → Alle Lagerprozesse (z. B. Zwischenlagerung, Anbruch, Rückverladung) sind risikobasiert zu bewerten und in das HACCP-System zu integrieren.

Mögliche Rechtsfolgen bei Hygienemängeln im Lager:

  • Ordnungswidrigkeiten nach LFGB (Bußgeld bis 50.000 €)

  • Rückrufe wegen Verdachts auf mikrobiologische Belastung

  • Abwertung oder Verlust von Zertifizierungen (IFS, BRCGS, FSSC)

  • Haftung bei Personenschäden durch kontaminierte Produkte

  • Reputationsverlust in Kundenbeziehungen

Standards und Normen im Überblick

Die wichtigsten Regelwerke für Lagerhygiene:

Standard/Norm Relevante Inhalte
IFS Food v8 Kapitel 4.11 (Reinigung), 4.12 (Lagerung), 4.19 (Wartung)
DIN 10508 Temperaturführung für verschiedene Lagerprodukte
DIN EN 1672-2 Hygienegerechte Gestaltung von Ausstattungen
DIN 10516 Reinigungsanforderungen in Lebensmittelbetrieben
EHEDG Guidelines Anforderungen an Hygienic Design und Reinigungstechnik

Sauberes Lager – sichere Ware

Die hygienische Sicherheit eines Betriebs entscheidet sich nicht nur an der Produktionslinie, sondern oft im Lager. Kühlräume, Trockenlager oder Anbruchkühler sind keineswegs risikofreie Zonen. Wer sie unterschätzt, riskiert nicht nur Produktverderb oder Rückrufe, sondern auch Abwertungen in Audits, Haftungsrisiken – und im schlimmsten Fall die Verbrauchergesundheit.

Die gute Nachricht: Lagerhygiene ist kontrollierbar – mit klarem Zonenkonzept, solider Technik, geschulten Mitarbeitenden und systematischer Kontrolle. Betriebe, die Lagerbereiche in ihr aktives Hygienemanagement integrieren, sind nicht nur auditfest, sondern auch zukunftssicher aufgestellt.

Praxis-Checkliste: Lagerhygiene im Griff?

Sind Lagerzonen baulich getrennt und hygienisch bewertet (HACCP)?

Werden Temperaturbereiche digital überwacht und dokumentiert?

Ist die Reinigung aller Lagerflächen und -einrichtungen organisiert und nachweisbar?

Werden mikrobiologische Eigenkontrollen regelmäßig durchgeführt?

Existiert ein klar geregelter Verantwortungsbereich für Lagerhygiene?

Wurde das Reinigungspersonal speziell für Lagerbereiche geschult?